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Severin Achatius Litholtz - Ein Rufer in geistigen Wüsten

Wir wollen heute das Werk eines Mannes rühmen, den eine schlampige und sensationslüsterne Kulturhistorie bis dato völlig ignorierte. Heuer jährte sich der Todestag von Severin Achatius Litholtz, den seine Zeitgenossen den »Verdichter des Dickichts« nannten, zum 200. mal.

Litholtz war ein Sohn aus bürgerlichem Haus. Sein Vater Neidhardt Bohumil Krlovec (er nahm später den Namen Litholtz aus Gründen einer zügigeren Karriere an), ein gebürtiger Böhme, verließ frühzeitig seine Heimat und brachte es durch unermüdlichen Fleiß und einige unschöne Ränkeschmiedereien schlussendlich zum Geheimen Sektionsrat im k.u.k. Hofschalmaien-Depot, wo er der Unterabteilung ›Geschnitzte Weidenflöten; Osmanisches Reich‹ mit Gewissenhaftigkeit und Umsicht vorstand. Über die Abstammung der Mutter, eine Neapolitanerin mit Namen Lucretia Giacconda (geb. Lollorossoletto), ist wenig bekannt. Es halten sich jedoch hartnäckige Gerüchte, dass Vater Litholtz anlässlich einer Dienstreise im Juli 1755 zum kaiserlichen Blasinstrumentenarchiv in Triest, die schöne Südländerin in einem übel beleumundeten Haus namens »Carezza solida«, in das es in eines Nachts verschlug, übergenau kennen und kurz darauf sogar lieben lernte. Diese laue Sommernacht blieb nicht folgenlos. Vier Monate nach dem das Paar in der Kapelle zum ›Befleckten Hirten‹ am Kohlmarkt zu Wien getraut wurde, kam Severin zur Welt.

Der von der Mutter verzärtelte und vom Vater missverstandene Severin war ein schlechter Schüler, der schon früh anscheinend weltfremden Träumereien nachhing. Der strenge Beamtenvater ließ des Öfteren den Rohrstock auf dem Rücken des Knaben tanzen, wegen dessen mangelnder Bereitschaft sich übliches Wissen anzueignen. Ohne nennenswerte Erfolge. Ganz im Gegenteil, trieb er doch mit diesen wenig einfallsreichen Züchtigungen den Sohn immer mehr in Fantasiewelten. Zur Unterstützung dieser These liegen uns heute noch zwei Handzettel mit Gedanken des pubertierenden Severins im Original vor:

Was bin ich den anderes als ein Erdäpfel? Sehne ich mich denn nicht nach Bekrabbelung durch gestreifte Käfer?
Herr, sieh deinen Diener, wie er dürstet! Wann sendest du mir endlich ein Geschirr?
Es ist bedeutend schmerzloser sich die Ohren an Buchenrinde, als an jener der Krüppelföhre zu reiben. Solche Wahrheiten werden die Welt verändern, bald schon.

Aufgrund des mäßigen Fortkommens in der öffentlichen Schule und der daraus resultierenden Resignation des Vaters, wurde der Vorschlag der Mutter von diesem angenommen und Severin von einem Privatlehrer unterrichtet. Dieser war aber mehr an den Reizen von Frau Litholtz interessiert - ein Interesse, das der Dame des Hauses durchaus gelegen kam -, denn an einer soliden Allgemeinbildung des wunderlichen Knaben. Und so bildete sich Severin eher einseitig im Selbststudium, unterstützt durch die Bibliothek des nahe gelegenen Jesuitenkollegs. Den dort vorgefundenen Schriften (hauptsächlich las er im ›Speculum maius daemonicum‹ von Isidore Malfizzi und im ›Li livres dou trésor‹ von Brunetto Latini) ist wahrscheinlich auch seine erste Erfindung, die dreibeinige Hose (im Fall der Verschmutzung eines Hosenbeins konnte man in das saubere dritte schlüpfen, das man locker um die Hüfte geschlagen zu tragen hatte - eine sehr nützliche Erfindung, wenn man den Zustand der damaligen Straßen bedenkt), zu verdanken. Leider fand sich keine Schneiderei oder Tuch verarbeitender Betrieb, der die Dreibeinhose in die Produktion aufnahm. Severin musste sich wüsteste Beschimpfungen anhören, wenn er mit seinem Prototyp bei den Fabrikanten und Schneidern vorstellig wurde, die meist in der Aufforderung gipfelten, er möge sich die modische Missgeburt in eine unfeine Örtlichkeit stecken oder damit im hiesigen Irrenhaus vorsprechen, die Leute dort wüssten schon die richtige Behandlung seiner Anliegen.

Es würde hier entschieden zu weit führen, wollten wir alle Erfindungen Severin Achatius Litholtz aufzählen. Jedoch die wichtigsten dürfen wir dem kulturgeschichtshungrigen Leser nicht vorenthalten, die da wären: Die galvanische Kleeblattpresse; die doppelschnäbelige Teekanne (zur gleichzeitigen Begießung zweier Tassen); der kohlenbeheizte Hut (wurde 1805 von Napoleon in der Schlacht bei Austerlitz getragen); die »Mist«-Kartätsche (damit wurde der Abfall vor die Stadtmauern befördert); die Ohrlöffelzange (mehrere Mitglieder des österreichischen Kaiserhauses wurden durch sie von schmerzhaften und durchblutungsverhindernden Abszessen im Mittelohr befreit, was die angeborene Geistesschwäche in erträglichem Rahmen hielt).

Niedergeschriebenes ist wenig erhalten. Ein fortschrittsfeindlicher Nachlassverwalter hat höchstwahrscheinlich die meisten philosophischen Traktate dem Feuer überantwortet. Ein nicht wieder gutzumachender Verlust für die Menschheit ist so durch Kurzsicht und Ignoranz entstanden. Hier sollen noch ein paar Gedankensplitter, die dem Abschiedsbrief des verkannten Genies entnommen sind, aufzeigen, was Borniertheit und Zukunftsblindheit anrichten können:

Auf einem Beine hüpfen, das will dir wohl gelingen, doch nimmt man dir auch dieses noch, wo bist du dann? Im Staub.
Wenn ich zum Himmel empor blicke, was sehe ich? Wolken. Nur Wolken. Warum nicht manchmal Hühnersuppe? Die Schöpfung hat uns im Stich gelassen.
Ist uns manches, das uns heute noch gewagt erscheint, morgen noch gewogen? Ich gebe mir jetzt keine Antwort, weil das auch eine Antwort ist.

Severin Achatius Litholtz nahm sich im Jahr des Herrn 1803, einen Tag vor Mariä Lichtmess, das Leben. Vereinsamt, gedemütigt und verkannt, erhängte er sich am Dachboden seines ärmlichen Hauses. An seiner Dreibeinhose. Wie viel hätte er der Welt zu geben gehabt?! Ehre sei, spät aber doch, seinem Angedenken.

Linz - 2003